Flucht, Migration und Zuwanderung als Herausforderung - Die Aufgabe der Sozialen Arbeit in der Krise
27.10.2015
Zu einem Austausch über die aktuelle Situation der Flüchtlingsströme, Migration und Zuwanderung trafen sich der Generalsekretär des International Federation of Social Workers (IFSW global) Rory Truell, das Mitglied des österreichischen Bundesvorstandes OBDS Dunja Gharwal, die 2. Bundesvorsitzende des DBSH Gabriele Stark-Angermeier, der Landesvorsitzende des DBSH Bayern Dr. Winfried Leisgang und der Bundesvorsitzende des DBSH Michael Leinenbach, in München. Die Situation in Europa, schwerpunktmäßig die Betrachtung aus dem Fokus der Situation Deutschland, bildete die Grundlage der Gespräche.
Welche Rolle hat die Soziale Arbeit in der aktuellen Krise? Einigkeit konnte darin erzielt werden, dass die in den Systemen verankerte Zuständigkeit der Ordnungsbehörden in Deutschland nicht zur Sozialen Arbeit gezählt werden darf. Soziale Arbeit darf nicht im Rahmen der Ordnungspolitik als unterstützendes Kontrollinstrument missbraucht werden. Vielmehr wird der Sozialen Arbeit als Menschenrechtsprofession eine Schlüsselrolle in der Bewältigung von Krisen dahingehend zugesprochen, dass sie mit den Methoden der Sozialen Arbeit entsprechende Hilfen bzw. Unterstützungen anbieten, aber auch die Koordination von Kommunikation und Dialogen, wie es beispielsweise das Handlungsfeld der Gemeinwesenarbeit bietet, vorgehalten werden. Aus Sicht der Sozialen Arbeit ist wichtig, dass in diese Prozesse die Menschen entsprechend würdig eingebunden werden und von einer belehrenden Haltung Abstand genommen wird. Wesentlich erscheint es hierbei jedoch, dass in der konkreten Arbeit der Bildungsanspruch umgesetzt wird. Dieser kann von der Erklärung einfacher Abläufe im Tagesverlauf sowie dem Erwerb notwendiger Kompetenzen zur eigenständigen Bewältigung der notwendigen Bürokratie bis hin zur Unterstützung beim Absolvieren eines Studiums erfolgen. Gleichzeitig wird darauf geachtet, dass Gruppen in den verschiedenen Prozessen nicht exkludiert werden. Alle Menschen haben entsprechend der Berufsethik die gleichen Rechte Unterstützungen aus der Sozialen Arbeit zu erhalten.
Speziell für Deutschland konnte festgestellt werden, dass der dortige Föderalismus in der aktuellen Krise oftmals eher hinderlich als fördernd ist, da es ständigen Klärungsbedarf der Zuständigkeit gibt. Ab und an muss auch an die Politik die Frage gestellt werden, ob die Bürokratie mit ihren Verwaltungswegen, oder die Humanität im Vordergrund des Handelns stehen.
Soziale Arbeit agiert immer auf Grundlage der Berufsethik und der dazugehörigen berufsethischen Prinzipien. Die Angebote der Sozialen Arbeit sollen allen Menschen, losgelöst von der Herkunft, angeboten werden. Von populistischen Aussagen und Forderungen muss sich die Soziale Arbeit distanzieren. Populismus hilft den betroffenen Menschen nicht, sondern wirkt für die Prozesse der Integration eher kontraproduktiv. Um Handlungen und Haltungen kritisch zu hinterfragen und Lösungsmöglichkeiten für jede_n Einzelne_n zu finden, kann die Berufsethik mit ihren Methoden sowie ihren berufsethischen Prinzipien herangezogen werden. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass jede Situation einer separaten Betrachtung bedarf und standardisierte bzw. globale Aussagen in konkreten Hilfeprozessen keine wirklichen Problemlösungen bringen. Die grundsätzliche Änderung der Haltung lässt sich besonders in der Einleitung zu den berufsethischen Prinzipien erkennen in der es heißt: "Auf Begrifflichkeiten wie Klienten_innen, Kunden_innen wurde zu Gunsten des Begriffes "Menschen" im Sinne der oder einer ethischen Haltung verzichtet".
Dunja Gharwal (Mitglied des österreichischen Bundesvorstandes OBDS) erläuterte das österreichische Projekt einer Internetplattform, ausgehend von der Idee des IFSW. Dort können Sozialarbeiter_innen, sowie auch "Menschen auf dem Weg in eine sichere Zukunft" ihre Geschichten selbst erzählen. Projektschwerpunkt ist, dass sie darüber berichten, wie sie die Soziale Arbeit auf ihrem Weg in den unterschiedlichen Ländern erlebt haben.
Am Abend traf sich die Gruppe mit Vertreter_innen des DBSH Landesverbandes Bayern sowie Beschäftigten im Handlungsfeld der Flüchtlingshilfe. Zunächst führte Rory Truell (Generalsekretär des IFSW global) in die Thematik ein. Am Beispiel einer Naturkatastrophe auf den Philippinen stellte er verschiedene Möglichkeiten und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit vor. Nach dem Taifun Haiyan nahmen die Bewohner einer zerstörten Insel die Hilfsunterstützungsangebote selbst in die Hand. Die Infrastruktur entwickelte sich in Kürze wieder. Eine andere Insel wiederum wurde von Dritten und Hilfsorganisationen betreut und hat heute noch den Status, dass sie von diesen abhängig ist. Was zeigt uns dieses Bild?
Dunja Gharwal berichtete, dass in Österreich Treffen auf der Ortsebene bzw. Sozialraumebene stattfanden. Diese Treffen würden von Sozialarbeiter_innen moderiert um sich sämtliche Fragen und Ängste der Bewohner anzuhören und adäquate Antworten geben zu können. Als Negativbeispiel zeigte sie die Einrichtung des "Erstaufnahmezentrum in Traiskirchen" auf. Dieses wurde an einen kommerziellen Betreiber abgegeben. Im Zentrum werden Kinder, Jugendliche, Familien und Einzelpersonen gleichsam betreut. Das führt dazu, dass die Kinder- und Jugendhilfe ihren eigentlichen Auftrag aus Sicht des OBDS nicht wahrgenommen werden kann. Vertraglich ist geregelt, dass in der Kinder- und Jugendhilfe nur Kinder bis zum 14. Lebensjahr betreut werden dürfen.
Im Anschluss diskutierten die Anwesenden die aktuelle Situation in München und Umgebung und zeigten an konkreten Beispielen auf, wo sie Handlungsbedarf sehen bzw. was sie sich von der Sozialen Arbeit wünschen. Ein wichtiger Aspekt bildete die Erwartung, dass den Kollegen_innen ein Handwerk gegeben werden sollte, das diese in der direkten Arbeit vor Ort unterstützt. Deutschland verfügt bereits durch die Soziale Arbeit durch die vorhandene Berufsethik mit den dazu gehörigen Berufsethischen Prinzipien über das notwendige Handwerk. Ihre Anwendung wird die nächste Aufgabe für die Soziale Arbeit in Deutschland sein. Eine weitere Erwartung der im Handlungsfeld Beschäftigten bezog sich darauf, dass die Soziale Arbeit mehr gehört werden müsse. Man verständigte sich darauf, dass Populismus an dieser Stelle keinen Platz haben kann und es eher sinnvoll ist, dass jede_r Kollege_in an seinem Platz entsprechend der Berufsethik die Aufgabe des politischen Handelns übernimmt.
Am nächsten Morgen wurden verschiedene Einrichtungen zur Unterbringung und Betreuung von Flüchtlingen besucht. Die Gruppe sah sich eine Zeltstadt an, die als Notunterkunft (zur Ergänzung der Erstaufnahme als „Überlauf“) geplant ist, jedoch derzeit nicht belegt wird. Die nächste Visitation fand in einer Traglufthalle statt. Diese ist für 300 Personen ausgelegt. Sie ist unter anderem ausgestattet mit einem Kommunikation- und Gemeinschaftsbereich mit Verpflegungsstellen, Aufenthaltsbereich, sowie einen Wohn- und Sanitärbereiche. Die einzelnen Wohnbereiche sind 11 Quadratmeter und für 6 Personen ausgelegt. Die Soziale Arbeit übernimmt die Aufgabe der Sozialbetreuung (1 Fachkraft für 100 Bewohner_innen) und die Koordination des Helferkreises. Diese Ehrenamtlichen führen Deutschkurse, Feste, Sportkurse, Begleitdienste und vielem mehr durch. Alle im Helferkreis müssen über ein erweitertes Führungszeugnis verfügen. Der dritte Besuch führte in den Asylsozialdienst. Hier steht das Einbeziehen der Menschen in den verschiedenen Handlungsfeldern im Vordergrund. Der Grundsatz "Hilfe zur Selbsthilfe" ist die oberste Maxime in den Handlungsfeldern. Wesentlich ist in diesem Kontext, dass der Sozialen Arbeit sogenannten Kulturdolmetscher_innen und andere Hilfssysteme zur Verfügung stehen. Kulturdolmetscher_innen sind Migranten_innen, die neuen Migranten_innen ehrenamtlich helfen, die deutsche Kultur zu verstehen.
Am Ende der Besuche wurden die Erfahrungen zusammengefasst und für die jeweiligen Ebenen unterschiedlichen Folgerungen geschlossen. Es wird an weiteren Austauschforen international wie national nachgedacht.